Es ist ein überschaubarer Fußweg von der Liftstation am Zugspitzplatt hinüber zum letzten Eis des Gletschers - eine Chance auch für nicht hochalpin gerüstete Besucher zu letzten Blicken auf das schwindende Eis. Bis Ende des Jahrzehnts, so die Prognose der Wissenschaftler, wird der Nördliche Schneeferner als einer der vier letzten Gletscher Deutschlands kein Gletscher mehr sein. Noch früher wird es den Forschern zufolge den Watzmann- und den Blaueisgletscher bei Berchtesgaden treffen. Die Prognose hier sind je nach Wetter noch zwei oder drei Jahre. Nur der Höllentalferner dürfte länger überleben.
Mit neuen Thementafeln und täglich drei kostenlosen Gletscherführungen will die Bayerische Zugspitzbahn nun Besuchern die prekäre Lage der Gletscher nahebringen. Der Nördliche Schneeferner sei durch sein stetiges Abschmelzen ein klarer Indikator für die globale Erwärmung, erläuterte Sprecherin Verena Tanzer. «Die Bayerische Zugspitzbahn befördert Gäste aus der ganzen Welt auf die Zugspitze, direkt an den sterbenden Gletscher.» Man sei in der Pflicht zu informieren, zu sensibilisieren und aufzuklären.
Landschaftsbild geht verloren
Das Abschmelzen gehe so schnell, dass die Daten auf den nur etwa zehn Jahre alten Tafeln des Themenweges gemeinsam mit Wissenschaftlern der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus aktualisiert werden mussten. «Uns ist wichtig, den Gästen hier auf dem Weg fundiertes Wissen mit auf den Weg zu geben, und somit für mehr Sensibilität zu sorgen», sagte Laura Schmidt, Sprecherin des Schneefernerhauses. «Wir sehen direkt vor unserer Nase, dass der Gletscher an Fläche verliert. Es geht ein Landschaftsbild verloren - die nachkommenden Generationen werden das nicht mehr sehen.»
Der Klimawandel zeigt sich gerade in den Bergen deutlich. Auch für Bergsteiger ändert sich viel: Alpine Gefahren steigen, Steinschlag nimmt zu, Randspalten zwischen Eis und Fels werden größer - so etwa am Höllentalferner als einer der beliebten Aufstiege zur Zugspitze.
Vor zwei Jahren hatten Wissenschaftler dem Südlichen Schneeferner den Status als bis dahin fünftem deutschem Gletscher aberkannt. Unter anderem floss er nicht mehr - ein Kriterium für die Einordnung als Gletscher.
Letzte Segnung
Im vergangenen Jahr erhielt der dahinsiechende Nördliche Schneeferner schon mal - prä-posthum - die letzte Segnung. Mit Sterbebildchen, Weihwasser und Gebeten nahmen Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche symbolisch Abschied, als Weckruf für die Klimakrise und die Gefahren für Natur und Menschheit.
Schon 2018 waren Höllentalferner und Nördlicher Schneeferner als größte deutsche Gletscher mit 16,7 und 16,1 nur noch knapp halb so groß wie das Oktoberfestgelände. Der Nördliche Schneeferner schrumpfte seitdem nach Messungen von Forschern der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) und der Hochschule München auf etwa 13 Hektar. An der dicksten Stelle misst er noch etwa 20 Meter. Er verlor binnen fünf Jahren rund sieben Meter im Mittel an Dicke, der höchste Wert der gesamten Beobachtungsreihe seit 1892, wie er Glaziologe und Geograf der Hochschule München, Wilfried Hagg, berichtet. «2030 könnte er so klein und so dünn sein, dass es keine Eisbewegung mehr gibt.» Und er damit die Einstufung als Gletscher verliert.
Auswirkung auf Skibetrieb
Das Abschmelzen dürfte auch Auswirkungen auf den Skibetrieb am Zugspitzplatt haben. «Das Gelände hat sich extrem verändert», sagte Tanzer. Für den Platt-Schlepplift gebe es Überlegungen, ob er überhaupt noch in Betrieb genommen werden sollte. Sei der Hang oben früher eine blaue Piste gewesen, so sei der Bereich nun schwarz; der Ausstieg am Lift sei extrem steil. «Man wird das vor der nächsten Saison genau ansehen.» Die Entscheidung sei dann abhängig von der aktuellen Schneelage.
Verloren haben auch die drei anderen deutschen Gletscher. Der Watzmanngletscher hielt sich relativ gut, er hat noch 4,7 Hektar, nach 4,8 Hektar im Jahr 2018. Er ist zu fast 50 Prozent von Schutt bedeckt. Das schützt ihn vor Sonneneinstrahlung. Der Blaueisgletscher hingegen, obwohl eher schattig gelegen, schrumpfte von 5,2 Hektar auf 4,2 Hektar.
Der Höllentalferner liegt in einer Mulde und wird regelmäßig zumindest im oberen Teil durch Lawinen gespeist. Er ist laut Hagg der einzige deutsche Gletscher, der wenigstens oben noch Zuwachs verzeichnet, auch wenn das die Verluste nicht ausgleicht.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass er am längsten bestehen wird - vielleicht bis 2035, lautet die vorsichtige Prognose des Glaziologen Christoph Mayer von der BAdW, der gemeinsam mit Hagg für die Staatsregierung die bisherigen Gletscherberichte erstellte. Dann wird Deutschland wohl gletscherfrei sein. Übrig bleiben wird für eine Weile noch Toteis.
Sonne und Temperatur wesentliche Faktoren
Haupttreiber der Schmelze sind Sonne und Temperatur, auch warmer Regen und Luftfeuchtigkeit spielen eine Rolle. Der Sommer 2022 mit wochenlangem Sonnenschein war den Wissenschaftlern zufolge «verheerend». Auch 2023 gehörte demnach zu den Jahren, die den Gletschern deutlich zugesetzt haben.
Über den jetzigen Sommer äußern sich die Wissenschaftler noch zurückhaltend. Sie wollen auch diesen Herbst mit Drohnenbildern die deutschen Gletscher vermessen, um den schnellen Wandel zu dokumentieren.
Es habe im Winter in der Höhe vergleichsweise viel Schnee gegeben, der das Eis stellenweise bis in den Sommer schützte. «Wir haben vom Winter eine ganz gute Rücklage», sagte Mayer. «Es kommt jetzt ganz stark auf den August an.» Viel Schnee im Winter helfe den Gletschern, sagt auch Hagg. «Eine dicke Schneeschicht, die sich bis in den Sommer hält, ist Balsam für den Gletscher.» Dennoch, so Mayer: «Es ist absehbar - so langsam geht es dem Ende zu.»
Bund Naturschutz fordert mehr Maßnahmen für Klimaneutralität
«Wie weit der Klimawandel bereits fortgeschritten ist, kann man sehr gut an der Zugspitze sehen», sagte der Vorsitzende des Bundes Naturschutz in Bayern, Richard Mergner. «Leider ist abzusehen, dass die Staatsregierung ihr selbst gestecktes Ziel bis 2040 klimaneutral zu sein, verfehlen wird.» Es müsse mehr geschehen, im Verkehrsbereich, beim Ausbau beim Ausbau der Windkraft und beim Umbau der Landwirtschaft
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