In den Katakomben der Augsburger Arena wurde Sven Michel immer wieder von Unionern geherzt. Der Sturmroutinier hat bis zu seinem Wechsel nach Schwaben im vergangenen Sommer zwar nur eineinhalb Jahre in Berlin gespielt, aber dort unübersehbar nachhaltigen Eindruck hinterlassen. «Typisch Fußball», meinte Michel nach dem mühsamen und sehr besonderen 2:0 (0:0) am Freitagabend in der Bundesliga.
Warum typisch? Weil der Fußball oft genug kuriose Anekdoten hervorbringt. Seit Mitte August 2023 musste Michel schließlich auf sein zweites Saisontor für den FC Augsburg warten. Dazwischen kam der 33-Jährige meist nur noch als Minutenkraft zum Einsatz. Und dann gelingt Michel ausgerechnet gegen den Ex-Club Union Berlin ein Tor.
Michel trifft gegen die «alte Liebe»
«Gegen die alte Liebe zu treffen, tut trotzdem sehr, sehr weh. Das ist typisch Fußball, du triffst monatelang nicht, dann triffst du gegen den alten Verein», beschrieb der in der 73. Minute eingewechselte Michel seine Gefühlsachterbahn.
Nach dem Führungstor von Phillip Tietz, der einen Blackout von Diogo Leite ausgenutzt hatte, machte Michel in der 81. Minute alles klar. «Ich habe ihm gesagt, dass er auf die fünf oder zehn Minuten warten und dann zeigen muss, dass er bereit ist für die Mannschaft», beschrieb Trainer Jess Thorup den Austausch mit seinem Teilzeitstürmer. «Heute war hoffentlich ein guter Start für mich in die richtige Richtung», äußerte wiederum Michel. «Ich muss versuchen, mich wieder reinzuarbeiten.»
Augsburg klappt den Rückspiegel ein
Das ist schwer genug. In Kapitän Ermedin Demirovic (15 Saisontore) und Tietz (8) hat Thorup schließlich eine Paarung im Sturm gefunden, die harmoniert. Für Michel und Co. ist da in der Startelf kein Platz. Dass er aber nie außen vor war, zeigte die Reaktion seiner Mitspieler, die nach dem Tor auf ihn zustürmten. «Dass die Jungs sich so für mich gefreut haben, hat mich fast noch mehr gefreut, als dass ich das Tor selber geschossen habe», sagte Michel.
Dass der Klassenerhalt nach diesem Wochenende rechnerisch noch nicht ganz perfekt ist, kann der FC Augsburg verschmerzen. Der Blick des Vereins richtet sich längst nach Europa. «Wir haben lange in den Rückspiegel schauen müssen, den können wir jetzt einklappen», sagte Sportdirektor Marinko Jurendic.
Neun Jahre nach dem Einzug in die Europa League, als erst der FC Liverpool im Sechzehntelfinale die Augsburger Traumreise beendete, ist erneut der Coup möglich. «Für mich geht es nicht um den Klassenerhalt, sondern die bestmögliche Position», verkündete Thorup. «Wir werden nach vorne schauen, was jetzt möglich ist.»
Die Jagd auf Frankfurt ist eröffnet
In der vergangenen Saison mussten die Augsburger noch bis zum letzten Spieltag um den Bundesligaverbleib bangen. In dieser Saison stimmen die Fans längst Europa-Gesänge an. «Wir können uns gar nicht zurücklehnen, jeder ist hungrig, viele Punkte einzufahren», sagte Jurendic vor den letzten fünf Spieltagen. «Das ist jetzt ein positiver Druck für die Spieler. Man kann viel gewinnen, sehr viel gewinnen. Ich weiß nicht, zu wie viel Punkten das führen wird.»
Die Mannschaft könne jetzt aber «befreit aufspielen». Wie frei, kann man schon am kommenden Freitag sehen. Dann gastieren die Augsburger in Frankfurt und könnten die Eintracht sogar von Tabellenplatz sechs verdrängen. «Jetzt müssen wir mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Dann sehen wir, was am Ende rauskommt», meinte Michel.
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