Thomas Tuchel humpelte nach dem zum Wendepunkt erkorenen Champions-League-Signal trotz der Schmerzen glücklich zum Mannschaftsbus. Begleitet vom Teamarzt, der eine Krücke trug und Tuchels Rollkoffer zog, freute sich der gezeichnete Trainer, dass der FC Bayern auf seiner Abschiedstournee mal wieder ein Spiel wie in besseren Münchner Tagen dominierte. «Nächte wie diese können eine Saison verändern», sagte Doppelpacker Harry Kane nach dem mitreißenden 3:0 gegen Lazio Rom beim Viertelfinal-Einzug der Münchner. «Das kann ein Wendepunkt für den Rest der Saison sein.»
Nach dem Aus im Pokal und dem Fast-Aus in der Meisterschaft darf Tuchel auf einen glorreichen Schlusspunkt seiner kurzen Amtszeit im Sommer hoffen. «Der Champions-League-Titel ist der reizvollste und schwerste Titel, den es in Europa gibt, wahrscheinlich auf der Welt das schwerste Turnier», sagte der 50-Jährige, «aber der Titel wird auch nicht größer, wenn man am Saisonende geht». Oder humpelt, wie er in der Nacht zum Mittwoch. Doch für einen solchen Abend, das erklärte Tuchel lächelnd, nehme er den nach Eigendiagnose mutmaßlich gebrochenen Zeh in Kauf. «Das Opfer habe ich gerne gebracht.»
Tuchel-Beschwerden passen ins Bild von stolpernden Bayern
Tuchels Beschwerden passten nur zu gut in das Bild eines in diesen Tagen immer wieder lahmenden FC Bayern. Der Königsklassen-Coup dank Kane mit nun 33 Pflichtspieltreffern und dem als Vorbereiter sowie nach schier endloser Wartezeit wieder als Torschützen jubelnden Thomas Müller übertünchte viele Sorgen in strapaziösen Tagen. «Das ist für den ganzen Verein enorm wichtig. Nicht nur für uns Spieler, sondern auch für die Strahlkraft des Vereins», sagte Müller nach seinem dritten Pflichtspieltor der Saison und dem ersten in Europa seit Oktober 2022.
Begleitet war die rekordmeisterliche Renaissance von einer entscheidenden Frage: War dieser Abend nur ein kurzes Aufflackern viel beschworener Bayern-Qualitäten oder doch der ganz große Umschwung in einer missglückten Saison? Die Antwort kann schon am Samstag in der Liga gegen Mainz gegeben werden.
Kanes Traum vom Finale in der langjährigen Wahlheimat lebt
Nach dem nie gefährdeten und unerwartet souveränen Sieg dürfen sich die Münchner nach dieser Bundesliga-Aufgabe auf die Viertelfinal-Auslosung am 15. März freuen. Neben den Bayern löste Paris Saint-Germain um Superstar Kylian Mbappé zum Auftakt das Ticket für die nächste Station auf dem Weg ins Finale am 1. Juni im Londoner Wembleystadion. «Es wäre vermessen, jetzt schon viel weiter zu träumen», sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen.
Die Club-Führung sah sich in ihrer Trainer-Entscheidung bestätigt. «Wenn wir nicht weiterkommen wären, dann wäre ein mediales Gewitter über uns hereingebrochen und dann hätten wir uns auch selber noch stärker hinterfragen müssen», räumte Präsident Herbert Hainer aber ein. Ob Tuchel dann noch wie beschlossen bis zum Sommer der Trainer gewesen wäre? Erst einmal haben die Bosse Ruhe in dieser heiklen Personalfrage gewonnen - wie auch für die Suche nach dem Nachfolger.
Tuchel kostet es den «großen Zeh»
Dreesen erlebt Tuchel «voller Enthusiasmus und Leidenschaft». Die Kabinen-Ansprache, bei der er gegen eine Tür getreten habe, unterstrich das. «Die Motivationsrede vor dem Spiel hat mich meinen großen Zeh gekostet», sagte Tuchel. Während des Spiels konnte der 50-Jährige, über dessen Trainer-Zukunft in Spanien oder England spekuliert wird, kaum stehen. Gegen die «sehr schmerzhafte» Verletzung half auch das Eisspray nichts.
«Ein bisschen Schwund ist immer. Profisport ist immer auf enge Kante genäht. Nur mit Früchtetee machen wir es nicht», scherzte Müller, der nach seinem 149. Champions-League-Spiel auch die Hoffnung auf die Meisterschale nicht aufgegeben hat. «Wir wollen dem Fußballgott schon noch mal eine Chance geben, dass er die Klischees beibehalten kann. Es sieht aktuell nicht nach Vizekusen aus, aber wir wollen dran bleiben.»
Eberl wirbt für «kleine Schritte»
Der neue Sportvorstand Max Eberl verwies bei seinem Null-auf-Hundert-Start gerne auf die verbesserte Stimmung nach dem finanziell lukrativen und allein mit 10,6 Millionen Euro UEFA-Prämie entlohnten Weiterkommen. «In der Champions League haben wir jetzt die erste Jagd gewonnen», sagte Eberl, der für eine Strategie «der kleinen Schritte» warb. «Ich kenne die. Bayern kennt sie nicht, da geht es immer mit großen Schritten voran.» Im Kampf gegen die erste titellose Münchner Saison seit 2012 soll nach der Ansicht des langjährigen Gladbacher Managers aber genau das helfen.
«Wir haben uns ein bisschen das Selbstverständnis vom Fußballspielen zurück erarbeitet», sagte Manuel Neuer. Der Kapitän jubelte nach dem Schlusspfiff besonders ausgiebig - was mutmaßlich nicht am eingestellten Zu-Null-Rekord von Real-Legende Iker Casillas, sondern am erneuerten Glauben an ein Happy End mit Henkelpott lag. «Es ist wichtig, den Gegnern, die auf uns treffen werden, zu zeigen, dass es nicht leicht sein wird, gegen uns zu spielen», schickte Neuer ein paar Grüße an die europäische Konkurrenz.
Roms Trainer: Das ist halt der FC Bayern
Zwar schien die spezielle Königsklassen-Kulisse die zuletzt arg schwächelnden Bayern zu inspirieren und zur besten Leistung des Jahres zu beflügeln. Doch ultradefensive und offensiv harmlose Italiener waren nach deren 1:0-Erfolg im Hinspiel auch nicht der schwierigste Gegner für das wieder bayern-like agierende Tuchel-Ensemble. «Bayern München ist aufgetreten, wie Bayern München einfach ist. Auch wenn es in der Bundesliga nicht so läuft, in der Champions League ziehen sie alles raus», fasste Roms Trainer Maurizio Sarri das zusammen, was auch als Motto für das Münchner Saison-Finish taugen könnte.
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