Mit einem Fax wandte sich Sylvia Stolz 2021 an das Finanzamt München. So weit, so unspektakulär. Doch im Grunde nur auf der ersten Seite des 339 Seiten langen Schreibens ging es um Steuerangelegenheiten. Im restlichen Dokument diskriminierte die einschlägig vorbestrafte Frau unter anderem Ausländer, äußerte sich zur Corona-Politik - und leugnete passagenweise den Holocaust. Die Finanzbehörde schaltete die Polizei ein, und so landete der Fall vor Gericht und mit ihm die Frage: Kann jemand wegen Volksverhetzung verurteilt werden, der den Holocaust in einem Schreiben an eine Behörde leugnet?
Das Landgericht München II fand: nein - und sprach Stolz, die zuvor schon zwei Mal wegen Volksverhetzung im Gefängnis gesessen hatte, frei. Die Staatsanwaltschaft sah das als Fehler und legte gegen das Urteil Revision ein, sodass die Sache zum Fall für den Bundesgerichtshof (BGH) wurde. Dabei ging es vor allem um die Frage, wann von einer Verbreitung bestimmter Inhalte die Rede sein kann.
In Karlsruhe hielt das Urteil nun auch einer Überprüfung des höchsten deutschen Strafgerichts stand. Wie der Vorsitzende Richter, Jürgen Schäfer, am Mittwoch in Karlsruhe verkündete, verwarf der 3. Strafsenat die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision gegen den Freispruch. Das Urteil ist damit rechtskräftig. (Az. 3 StR 32/24)
Wo kein Volk, da keine Volksverhetzung
Die Münchner Richterinnen und Richter hatten zuvor so argumentiert: Da sich im Finanzamt nur wenige Menschen mit Stolz' Ausführungen befassten und diese der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sei unter anderem mit Verweis auf die «hohe Datensensibilität der Finanzbehörden» keine Verbreitung im Sinne des Straftatbestandes gegeben. Das Dokument sei außerdem als Einspruch zu einem Steuervorgang gemeint gewesen und so auch behandelt worden.
Stolz' Anwalt schloss sich dieser Ansicht in der mündlichen Verhandlung am BGH im August an. Selbst bei einer Weitergabe an Strafverfolgungsbehörden hätten immer nur jene Menschen damit zu tun, die sich damit dienstlich befassten. Das sei ein eng begrenzter Personenkreis.
Zudem könne der Paragraf zur Volksverhetzung nicht uferlos angewandt werden, gerade weil er eine Ausnahme zur im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit sei und bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsehe, so der Anwalt. Ansonsten dürfe man Strafbares nur noch denken und nicht mal mit zwei, drei Vertrauten darüber sprechen. Auch Richter Schäfer sagte in der Verhandlung, man müsse sich auch mit anderen Szenarien beschäftigen: Was sei etwa, wenn man ein Schreiben mit verwerflichem Inhalt an eine Privatperson schicke?
Verbreitung durch einen öffentlichen Prozess?
Die Bundesanwaltschaft hatte in Karlsruhe wiederum argumentiert, dass auch bei einem Fax ans Finanzamt mit einer Kettenverbreitung zu rechnen sei. Der Absender könne den Personenkreis nicht kontrollieren, an den das Schreiben weitergereicht wird. Für eine Verbreitung reiche das, es genüge «eine gewisse Streuung.» Am Ende könnten die beanstandeten Passagen sogar in einem öffentlichen Prozess vorgetragen werden.
Mit ihrer Argumentation hatte die Anklagebehörde am BGH aber keinen Erfolg. Dass ein solcher Fall durch einen Strafprozess an die Öffentlichkeit gelangt, liege «in der Natur der Sache», so Schäfer. Die Möglichkeit, dass ein Empfänger das Schreiben an die Strafverfolgungsbehörden weitergibt, bedeute noch keinen unkontrollierten Empfängerkreis. Gerade dieser größere Personenkreis, der für einen Täter nicht mehr kontrollierbar ist, mache aber eine Verbreitung aus. Die Entscheidung des Landgerichts weise keine Rechtsfehler auf.
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