Die Bayerische Staatsoper ist an diesem Wochenende hochpolitisch. Am Sonntag (18.00 Uhr) feiert dort eine neue Inszenierung der Oper «Die Passagierin» von Mieczysław Weinberg Premiere.
Die Oper erzählt die Geschichte einer Holocaust-Überlebenden, die glaubt, auf einer Kreuzfahrt eine der Aufseherinnen aus dem Vernichtungslager Auschwitz wiederzuerkennen. Das Libretto basiert zum großen Teil auf dem autobiografischen Werk der polnischen Autorin Zofia Posmysz, die zwischen 1942 und 1945 in Auschwitz gefangen war. Regie führt bei der Neuproduktion der künftige Intendant der Staatsoper Hamburg, Tobias Kratzer.
«Dieses Stück hat schon seine Tücken - allein schon, weil es dadurch, dass sich eine KZ-Überlebende in eine KZ-Aufseherin hineinzuversetzen versucht, mit vielen Darstellungsgeboten der Nachkriegszeit bricht», sagte Kratzer im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist ja eine absurde Dialektik, dass da eine Autorin, die selbst Auschwitz überlebt hat, jetzt gewissermaßen ins Hirn der Täterin schlüpft und auch aus dieser Perspektive eigentlich 80 Prozent des Romanes erzählt ...»
Er habe lange darüber nachgedacht, ob er die Regie übernehmen soll, sagte Kratzer. «Auch dass Szenen direkt in Auschwitz spielen, ist eine Herausforderung, weil es für mich undenkbar ist, gestreifte Lagerkittel zu zeigen oder den Damenchor mit geklebten Glatzen auf die Bühne zu lassen. »
Er sieht gleich mehrere moralische Dilemmata, mit denen seine Inszenierung den Zuschauer konfrontiert - schon direkt zu Beginn, wenn einer der Protagonistinnen die Urne mit der Asche ihres Mannes mit auf das Schiff nimmt. «Allein das wirft ganz viele Fragestellungen auf, die einen vielleicht auch persönlich berühren, nämlich dass die Asche eines engen Anverwandten ja den meisten Menschen mehr bedeutet als die millionenfache Asche anonymer Massentötungen.»
Kratzer hat der Ursprungsfassung eine weitere, aktuelle Ebene hinzugefügt - geprägt von Fällen, in denen greise, frühere KZ-Sekretärinnen vor Gericht stehen. «Natürlich möchte man einerseits, dass das abgeurteilt und niemals vergessen wird und niemals verjährt, gleichzeitig aber vor der Absurdität steht, dass sich jetzt eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, kaum mehr sehend und hörend, noch einmal für etwas verantwortet, was sie damals als junges Mädchen vielleicht ja gar nicht umrissen hat.»
Und das ist nicht die einzige Veränderung: Zweieinhalb Stunden dauert die Oper normalerweise - aber Dirigent Vladimir Jurowski hat gekürzt. «Man verletzt natürlich die ursprüngliche Struktur. Aber wir nehmen dieses Risiko auf uns», sagte der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper der dpa. «Es waren zweieinhalb Stunden reine Musik und jetzt sind es zwei Stunden Musik. Es ist schon ein bisschen extrem und ich bin für Kritik offen und bereit, aber ich glaube, das war tatsächlich notwendig. »
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